Ach, wunderbare Weihnachtszeit, stillnächtige Sternchenzeit! Das heißt, nein, Halt! Die matten Sternchen werden uns erst im australisches Januar begegnen, die hell leuchtenden Superstars aber, nämlich mein Freund und Bruder im Geiste Robbie Williams und ich, trafen uns bereits vor wenigen Tagen mit dem Himbeergeist aus dem Neuffener Tal und drei Flaschen Cidre ausm Lidl im Rauchersalon im Ostflügel meines Anwesens (der von kulturell uninteressierten und ungebildeten Lakaien des Kleingeists auch profan, lapidar und prätentiös „Wohnzimmer“ geschimpft wird).
Seit Robbie sich weitgehend mit einer mehr ins Familiäre zielenden Tätigkeit beschäftigt („Die Kinder!“), sehen wir uns leider nur noch selten. Umso mehr freute es mich, als er mich anrief (er ist einer der wenigen, die meine private Mobilfunknummer haben) und mir erheitert mitteilte, dass wir einen geistreichen Samstagabend beim Kartenspiel miteinander verbringen würden können: Er habe einen Kurzauftritt auf dem (übrigens ausgesprochen schönen) Esslinger Weihnachtsmarkt, wo er mit einem Kinderchor aus Altbach und einem Leierkastenvadderabraham im Nikolauskostüm eine mittelalterliche Version seines Hits „Angels“ singen solle. Er werde auch zur Triangel greifen, um perkussionäre Akzente zu setzen, sagte er.
Nach seinem Gig, der leider zwischenzeitlich von einer Horde junger Mädchen in ihren frühen Dreißigern gestört wurde, die die Kelly Family erspäht zu haben glaubten (es stellte sich später heraus, dass es sich nur um ein paar Gaukler und Narren des Mittelaltermarktes handelte), zogen wir uns in die heimelige Gemütlichkeit des interieurs chez moi zurück, wo sich Robbie in den Fauteuil kuschelte und ich es mir auf der Chaiselongue bequem machte. In einer verrückten Welt lebten wir in the love of the common people, einfach, aber dennoch stilvoll: Robbie trug seinen Pikachu-Onesie, ich hatte mir meinen Doctor-Who-Bademantel über den Star Wars-Pyjama geworfen, der Himbeergeist stand zwischen uns und im Hintergrund lief das Weihnachtsalbum von Gwen Stefani. Wir lobpriesen die fachliche und menschliche Kompetenz Christian Streichs, bedauerten die schweren gesundheitlichen Probleme unserer gemeinsamen Freundin Stefani Germanotta und lachten laut und viel, aber herzlich und liebevoll über die im Alltag so geistesabwesend erscheinenden Menschen, die trüben Blickes und unbedacht immer wieder Leonardo Dicaprio in mir zu erkennen glaubten.
Unsere heitere Dreisamkeit wurde durch ein stürmisches Klingeln jäh aus ihrer Muggeligkeit gerissen, und als ich hoch die Tür und weit das Tor machte, wurden wir beinahe überrannt: Der Geist von Spiez und der Geist von Malente preschten sofort in die Tiefe des Raumes und füllten diese taktisch klug aus, denn während sie uns rechts und links umtänzelten, brach der Teamgeist in der Mitte durch, sah erst die Karten und dann rot.
„Das war Skibbe!“ rief er.
„Nein!“ deeskalierte ich. „Das ist Skip-Bo!“
Mein Einwurf beruhigte das Geschehen, allerdings war der Himbeergeist danach weg. Er verflüchtigt sich sehr schnell, wenn er zwischen zu vielen Leuten steht.
Wir wollten gerade zu fünft ein neues Spiel beginnen, als der Heilige Geist am Fenster vorbeischwebte und von außen die Scheibe behauchte. Da es aber in meiner Wohnungsrealität schon lange keine Jungfrauen mehr gab und der Durchgeistigte wahrscheinlich selbst nicht so genau weiß, was eigentlich seine Aufgabe ist, lispelte er nur „Hosianna“ und flog von hinnen.
Wir hatten die Heimeligkeit des Abends beinahe wieder hergestellt, als abermals die Glocken hell erklangen: Ich öffnete die Tür und vor mir stand der Geist von Banquo aus der Nachbarwohnung, der unmittelbar mit „Jeddz horchsch amol, Herr Dicaprio!“ einen Vortrag einleitete über Ehre und Höflichkeit und darüber, dass etwas Übles des Weges käme, wenn M-Lady (sic!) und ich uns weiterhin weigerten, die Äste und Zweige der Hecken im Garten zu schneiden. Mit einem bestimmten „Abgang!“ unterbrach ich seinen Monolog und warf die Tür ins Schloss, nicht jedoch ohne ihn vorher darauf hinzuweisen, dass sein Verhalten die Krönung sei und außerdem der Schotte aus dem ersten Stock Kehrwoche habe.
In Rauchersalon wurde die Situation allmählich unübersichtlich: Der Geist von Spiez versuchte Big Mouth Billy Bass, die Kunstoffreplika eines maulbrütenden Buntbarsches aus dem Victoriasee, dazu zu bringen, „Don’t worry, be happy“ zu intonieren, doch seine recht durchschaubaren Gestalt und der Geist in der Maschine verhinderten dies. Selbst als der Geist von Malente sich anschickte, das taktiklose Gezappel in einen spielerischen Tanz zu verwandeln, indem er Robbie bat, sich vor dem Lichtsensor aufzustellen, schwieg der Fisch. Obwohl der Teamgeist zurecht darauf hinwies, dass man gemeinsam mehr erreichen könne als allein, weigerte sich Robbie vehement, eine Position zu beziehen. Er sei Engländer, statuierte er, und es sei bekannt, dass Engländer nie so genau wüssten, wo sie eigentlich stehen wollen. Aus der Küche polterte plötzlich das Gespenst ins Zimmer, das sonst in der Mitropa umgeht, auf der Straße hupte Chris Rea, der endlich losfahren wollte, weil er um drei nach Basel müsse zu Aschenbrödel, der besorgte Bürger aus dem Nachbarhaus brüllte vom Balkon, dass es in Afrika keinen Schnee gebe und vom örtlichen Kirchturm erklang der Muezzin, der „Tochter Zion, freue dich“ sang.
Da war auch mir nicht mehr nach einer segensreichen Kaltenbachkantate zumute und auch nicht nach Jauchzen und Frohlocken, ich versank in mir, vergrub zum kontinuierlichen facepalm ein Gedicht in den Händen, mein innerer Freigeist legte sich schlafen und riss meine sonst so geistvolle Eloquenz mit in die Dunkelheit. „I bims 1 frack vong erschöbfum her.“ seufzte ich.
„Eigentlich fehlt nur noch einer!“ murmelte Robbie mir ins Ohr und prompt machte es Wham! Ein seltsam bekannter Typ materialisierte sich im Raum, lächelte friedvoll, faselte etwas von Liebe und Familie, beschuldigte Robbie, er sei für die Trennung von Take That verantwortlich, erklärte mir, dass ich unbedingt zum Friseur gehen und auch endlich Kinder zeugen müsse, warf dem Geist von Malente vor, nicht annähernd so zusammenschweißend wie der Geist von Spiez gewesen zu sein, verhöhnte den Teamgeist, weil dieser angeblich alleine nichts auf die Reihe bekäme, schimpfte, dass die Weihnachtsplätzchen meiner Mutter in diesem Jahr viel zu hart seien, fragte mit zittrigen Lippen, ob wir denn wollten, dass er sterbe, und weinte schließlich bitterlich.
„Da isser ja!“ sagte ich. „Der Geist der Weihnacht.“
Nachwort:
Manch einer mag völlig entgeistert fragen, wie es denn möglich sei, dass ein Kaltenbach’scher Text ohne die sonst obligatorische Xavier Naidoo-Beleidigung daherklabautern kann. Ganz einfach: Der Vollpfosten ist eh von allen guten Geistern verlassen und spukt das ganze Jahr über in sämtlichen Medien herum, da brauche ich mir von seinem Gewese nicht auch noch das Weihnachtsfest ruinieren zu lassen. Es reicht, wenn André Rieux das macht.